Liebe Leser*innen,Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine dauert jetzt schon mehr als 140 Tage. Neben den schrecklichen Folgen für die Menschen und das ihnen zugefügte Leid schaut die Welt und auch Deutschland auf drastisch gestiegene Energieträger- und Rohstoffpreise sowie die weiterhin drohende Gefahr einer physischen Verknappung insbesondere von Erdgas. So ist derzeit noch unklar, ob Nordstream 1 nach Reparatur und Wartung wieder in Betrieb gehen wird. Erdgas wird weiterhin von Russland als strategisches Druckmittel genutzt, wodurch die Unsicherheit auf den Energiemärkten steigt. Ein Ende scheint aktuell nicht in Sicht. Zwangsläufig führt diese energiewirtschaftliche Zeitenwende zu vielen Fragen. Müssen wir den Klimaschutz nun zugunsten von Versorgungssicherheit zurückstellen? Bremst der Ukraine-Krieg den Klimaschutz aus oder ist er umgekehrt gar ein Booster für mehr Klimaschutz? Unterstützen sich beide Ziele gegenseitig. Und wenn ja, wie können die kurz-, mittel- und langfristig notwendigen Maßnahmen so miteinander verwoben werden, dass beiden Zielen genüge getan wird? In einem Statement ordnet Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, die Möglichkeiten ein und sagt: "Wir müssen gerade jetzt Klimaschutz-Maßnahmen forcieren, um die Versorgungssicherheit und die Folgen steigender Energieträgerpreise abzumildern und langfristig robuster und resilienter aufgestellt zu sein." Klar ist: Die Energieversorgung in Deutschland und Europa steht vor einer massiven Umbau-Aufgabe – und dies in einer bisher nie gekannten Geschwindigkeit. Mit welchen Herausforderungen wir es in den nächsten Jahren zu tun haben, macht ein aktuelles Impulspapier des Akademienprojekts "Energiesysteme der Zukunft" (ESYS) deutlich. ESYS ist eine gemeinsame Initiative der Wissenschaftsakademien acatech, Leopoldina und Akademienunion und richtet den Blick auf eine sichere, bezahlbare und nachhaltige Energieversorgung. Im Impulspapier "Welche Auswirkungen hat der Ukrainekrieg auf die Energiepreise und Versorgungssicherheit in Europa?" untersuchte eine Arbeitsgruppe mit Expert*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, zu der auch Manfred Fischedick gehört, insbesondere die kurz- und mittelfristigen Folgen eines vollständigen oder teilweisen Wegfalls russischer Energielieferungen nach Europa. Die Analyse zeigt: Europa kann in wenigen Jahren unabhängig werden von russischen Energieimporten, dies gilt auch für Erdgas. In den nächsten Jahren sind aber erhebliche Anstrengungen notwendig. "Damit die Versorgungssicherheit aufrechterhalten und der Gasbedarf vollständig gedeckt werden kann, sind ein verstärkter Um- und Ausbau von Infrastrukturen für den Gasimport (LNG-Terminals) sowie der Gastransport (insbesondere die Ermöglichung der Transportrichtungen an den Verdichterstationen) im Rahmen einer gut abgestimmten und engen europäischen Zusammenarbeit notwendig. Ganz entscheidend wird aber auch sein, dass es uns gelingt den Erdgasverbrauch insbesondere in den Spitzenlastzeiten im Winter substanziell zu reduzieren. Hierzu müssen alle Verbrauchssektoren beitragen", betont Manfred Fischedick.
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