Liebe Leser*innen,
ein von Krisen gezeichnetes Jahr neigt sich dem Ende zu. Global und national war es durch eine Vielzahl von energie- und klimapolitischen Herausforderungen geprägt, die nicht zuletzt auf den kriegerischen Angriff Russlands auf die Ukraine zurückzuführen sind. Mit der Eskalation des Konfliktes und der zum Teil undurchschaubaren Politik Russlands in Bezug auf die Lieferung von Erdgas hat sich die Sicherheit der Energieversorgung mit Macht auf die energiepolitische Agenda gedrängt. Klimaschutz, Energiepreis- und Energieversorgungs-Risiken zeigen deutlich: Der Übergang hin zu einem erneuerbaren Energiemix der Zukunft ist notwendiger denn je. Die Lösung für die Herausforderungen heißt: Kräfte bündeln Im Verbund mit einer konsequenten Energiestrategie bietet der Umstieg auf erneuerbare Energien nicht nur die Chance, die Klimaschutzziele zu erfüllen, sondern sich auch unabhängiger von importierten, fossilen Energieträgern zu machen. Die Studie "Heizen ohne Öl und Gas" des Wuppertal Instituts zeigt am Beispiel der Wärmeversorgung von Gebäuden, wie eine derartige Umstellung in Deutschland gehen könnte.
Bisher deutlich unterbelichtet ist der mögliche Beitrag der Circular Economy für den Klimaschutz. In verschiedenen Analysen für die Bundes- und Landesebene hat das Wuppertal Institut in 2022 die Potenziale aufgezeigt, wie etwa mit Münchens Zero-Waste-Konzept, innerhalb des Projekts ShapingDIT oder dem Zukunftsimpuls "Die Kreislaufwirtschaft als neues Narrativ für die Textilindustrie". Die multiple Krisensituation hat aber auch gezeigt, wie wichtig kurzfristige Verhaltensanpassungen, aber auch darüber hinausgehend nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sind – ein Themenbereich, mit dem sich das Institut seit seiner Gründung beschäftigt. Der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien stand auch ganz oben auf der Agenda der Bundesregierung: Anfang April 2022 verabschiedete das Kabinett mit dem “Osterpaket” die größte energiepolitische Gesetzesnovelle seit Jahren. Darin formuliert die Regierung bisher nie dagewesene Ambitionen in Bezug auf die Ausbauziele.
Arbeiten des Wuppertal Instituts zu den gesellschaftlichen Aspekten der Energiewende zeigen deutlich, dass die Umsetzung derartiger Ziele nicht nur eine technische Herausforderung darstellt, sondern es insbesondere darauf ankommt, klare Prioritäten zu formulieren und alle Beteiligten in den Transformationsprozess einzubinden. Mit weiteren Maßnahmen-Paketen hat die Bundesregierung im Verlauf des Jahres diesbezüglich Akzente gesetzt und vor allem Ideen entwickelt, die Planungs- und Genehmigungszeiten drastisch zu verringern. Die aktuellen Herausforderungen Klimawandel, Energieträger-Preisexplosion und Versorgungssicherheit haben auch den zweitägigen Nachhaltigkeitskongress am 24. und 25. Oktober 2022 thematisch bestimmt, der anlässlich des 200. Jubiläums der Stadtsparkasse Wuppertal in Kooperation mit dem Wuppertal Institut und der Neuen Effizienz in Wuppertal stattfand. Der Kongress bot eine gute Möglichkeit für den Austausch, war aber auch eine gute Gelegenheit zu zeigen, wie viel Kompetenz die Wuppertaler Wissenschaftslandschaft in Bezug auf die Lösung der Klimaschutzfrage zu bieten hat. Es bleibt viel zu tun und es ist noch viel Luft nach oben – global wie national: Wir müssen daher deutlich an Tempo zulegen Vom 6. bis 20. November fand die 27. Konferenz der Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention, Conference of the Parties – kurz COP27 –, im ägyptischen Sharm El Sheikh statt. Während die Verhandlungen kaum Fortschritte bei der Frage gebracht haben, wie die Lücke zwischen den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens und den tatsächlichen Maßnahmen geschlossen werden kann, ist an anderer Stelle ein historischer Schritt gelungen. So hat sich die Staatengemeinschaft zum ersten Mal darauf verständigen können, einen Fonds für die Finanzierung der durch den Klimawandel verursachten Verluste und Schäden einzurichten. Die Forschenden des Wuppertal Instituts haben die Verhandlungen verfolgt und die wichtigsten Verhandlungsergebnisse in ihrer Analyse "Letzter Aufruf für 1,5 Grad" zusammengefasst. Aber auch der Klimaschutz-Fortschritt in Deutschland muss kritisch reflektiert werden, denn auch wir liegen beim Klimaschutz weit hinter unseren eigenen Zielen zurück. Notwendig ist nicht nur mehr Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien, sondern beispielsweise auch der Aufbau eines umfassenden Netzes für grünen Wasserstoff, verbindliche Ziele für eine echte Kreislaufwirtschaft und deren konsequente Umsetzung, klare Vorgaben für einen klimaneutralen Wohnungsbestand, eine ernsthafte Mobilitätswende und wirksame Anreize für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster. Bei all dem sind sozial gerechte Lösungen essentiell, um die gesellschaftliche Akzeptanz für den Umbau nicht zu verlieren.
Der aktuelle Rückstand lässt sich nur mit mehr Tempo, Konsequenz, Mut und Ehrlichkeit aufholen. Denn es wird nicht ohne massive strukturelle Veränderungen gehen, rein inkrementelle Schritte reichen nicht mehr aus. Dies verdeutlichten die Wissenschaftler*innen des Wuppertal Instituts in ihrem Sonder-Zukunftsimpuls "Transformationslücke schließen – Handeln unter Hochdruck". Sie stellten darin für die wesentlichen Transformationsbereiche jeweils einen "5-Punkte-Plan für mehr Tempo" auf. Diese sollen aufzeigen, wie es bei Klimaschutz sowie Energie- und Rohstoffsicherheit, der grünen Wasserstoffwirtschaft, der Circular Economy und der Wärme- und Mobilitätswende schneller vorangehen kann. Chance für zentrale Weichenstellung in 2023 ergreifen Trotz der vielen Unwägbarkeiten, die wir mit Blick auf die aktuelle Energiekrise zu beachten haben, sind wir optimistisch, dass in der Krise auch eine große Chance steckt. Der aktuelle Handlungsdruck hat das Potenzial, als Booster für den Wandel zu wirken und jetzt die zentralen Weichen zu stellen für mehr Unabhängigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit. Dabei bedarf es großer Schritte und auch eines breiten Umdenkens: Denn das, was wir jetzt brauchen, ist eine Ermöglichungs- statt Verhinderungskultur. Wie eine kluge Antwort auf die Energieversorgungskrise und den Wettbewerb um Zukunftsmärkte aussehen könnte, formulierte Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, in seinem kürzlich erschienenen Statement "Investitions- und Innovationsoffensive". Lassen Sie uns mit gemeinsamen Kräften diese Chance nutzen und uns zukunftsfest aufstellen. Mit mehr Tempo, einer großen Portion Mut und Ehrlichkeit im Umgang mit schwierigen Entscheidungen können wir die Transformationslücke schließen! Zum Jahreswechsel wünscht Ihnen das gesamte Team des Wuppertal Instituts die Zeit zum Innehalten und zum Kraftschöpfen. Wir freuen uns darauf, im kommenden Jahr mit Ihnen gemeinsam die Transformationsherausforderungen anzupacken!
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