Liebe Leser*innen,das Jahr 2022 markiert für Deutschland und Europa eine Zeitenwende. Der Kurs muss infolge der aktuellen Entwicklungen neu gesetzt werden. Der Überfall Russlands auf die Ukraine sowie die damit verbundene Angst vor einer physischen Verknappung von Energie (insbesondere Gas und Strom) sowie weiteren Preissteigerungen im Winter, die zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führen könnte, haben die politischen Koordinaten grundsätzlich verschoben. Hinzu kommt: Wetterextreme schlagen in Deutschland und Europa mittlerweile deutlich härter und öfter zu, als die Klimaforschung es erwartet hat. "Wir erleben Hitzeperioden, die wir erst in Jahrzehnten erwartet hätten", bringt es der Deutsche Wetterdienst auf den Punkt. "In der Konsequenz kann dies nur eines bedeuten: unabhängiger werden von fossilen Energieträger-Importen und damit Tempo, Tempo, Tempo bei der Gestaltung des Ausstiegs aus Kohle, Öl und Gas, für mehr Versorgungssicherheit – aber auch und gerade mehr Klimaschutz. Auch wenn die hohen Preise eine klare Lenkungswirkung in diese Richtung erzeugen, ist der Ausstieg aus dem fossilen Energiezeitalter kein Selbstgänger. Es braucht mutige Entscheidungen und die bewusste Bereitschaft, auf möglicherweise unbequeme und nicht optimale Pfade zu setzen", betont Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts. "Die Regierung muss Entscheidungen innerhalb eines hochkomplexen Systems unter einem hohen Maß an Unsicherheiten treffen. Dafür ist sie nicht zu beneiden. Entsprechend sollte man sie dabei unterstützen und ermuntern, auch mit einer gehörigen Portion Pragmatismus vorzugehen, denn uns bleibt angesichts des schnell voranschreitenden Klimawandels nicht die Zeit, die theoretisch beste Lösung zu suchen und umzusetzen", ergänzt er.
Was jetzt schnell nötig ist: ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien und der für deren Transport und Verteilung notwendigen Stromnetze, ein schneller Aufbau eines umfassenden Netzes für grünen Wasserstoff (und dessen Derivate), die konsequente Umsetzung von Energie- und Ressourcen-Effizienzpotenzialen – unter anderem durch verbindliche Ziele für eine echte Kreislaufwirtschaft – und klare Vorgaben für die energetische Sanierung des Wohnungsbestands, eine ernsthafte Mobilitätswende, wirksame Anreize für eine nachhaltige Produktion und adäquate Angebote für die Konsumierenden, um sich nachhaltig verhalten zu können. Und bei all dem müssen sozial gerechte Lösungen gefunden werden. Nur so lässt sich Klima- und Ressourcenschutz in der Breite durchsetzen und wird die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz bekommen. Im Zukunftsimpuls "Transformationslücke schließen – Handeln unter Hochdruck" zeigen die Wissenschaftler*innen des Wuppertal Instituts, wie sehr Deutschland auf dem Weg zur Nachhaltigkeit seinen eigenen Zielen hinterherhinkt. Die Forschenden haben für die wesentlichen Transformationsbereiche jeweils einen "5-Punkte-Plan für mehr Tempo" aufgestellt. Diese sollen aufzeigen, wie es bei Klimaschutz sowie Energie- und Rohstoffsicherheit, der grünen Wasserstoffwirtschaft, der Circular Economy und der Wärme- und Mobilitätswende schneller vorangehen kann. "Jetzt kommt es auf das intelligente Zusammenspiel von Konsistenz (Ausbau erneuerbarer Energien), Effizienz (Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz) und Suffizienz (nachhaltige Lebensstile) an", sagt Manfred Fischedick. Die Umsetzung der Ziele wird keinesfalls einfach. Es gibt viel zu diskutieren auch jenseits der "klassischen" Fragen zur technischen Machbarkeit der Transformation und den damit verbundenen Kosten und Investitionsbedarfen. Daher diskutierten die Expert*innen des Instituts beim Wuppertal Lunch "Transformationslücke schließen – Handeln unter Hochdruck" am 26. September 2022 mit den Gästen unter anderem darüber, wo wir schneller werden müssen und wo Zeitkonstanten überwunden und Konflikte offen ausgetragen werden müssen. Zudem diskutierten sie darüber, wie sichergestellt werden kann, dass die unter enormem Zeitdruck zu gestaltende Transformation nicht zu sozialen Verwerfungen führt, sondern sie im Gegenteil einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit und Teilhabe leisten kann und insgesamt als positive Veränderung wahrgenommen wird. Wer den Wuppertal Lunch verpasst hat, kann die Diskussion auf dem YouTube-Kanal des Instituts anschauen. Nachhaltigkeitskongress am 24. und 25. Oktober 2022 in Wuppertal Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen Klimawandel, Energieträgerpreisexplosion und Versorgungssicherheit findet der zweitägige Nachhaltigkeitskongress am 24. und 25. Oktober 2022 anlässlich des 200. Jubiläums der Stadtsparkasse Wuppertal in Kooperation mit dem Wuppertal Institut und der Neuen Effizienz in Wuppertal statt.
Der wissenschaftliche Kongress "Wege zur Klimaneutralität und Versorgungssicherheit: Zwei Herausforderungen – eine gemeinsame Lösung" thematisiert am 24. Oktober 2022, wie Klimaneutralität im Verbund mit Versorgungssicherheit erreicht werden kann. Am zweiten Tag liegt der Fokus des dann stärker populärwissenschaftlich geprägten Kongresses auf der "Relevanz des globalen Klimawandels für Wuppertal". Anmeldungen sind ab sofort möglich, das Programm für beide Tage ist hier zu finden.
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