Liebe Leser*innen,der kriegerische Angriff Russlands auf die Ukraine dominiert seit Wochen die politischen Diskussionen und Entscheidungen in Deutschland und Europa. Vieles von dem, was vor wenigen Wochen noch als Gewissheit, als unverrückbares Paradigma galt, scheint jetzt obsolet oder steht zumindest kritisch auf dem Prüfstand. Auch in der Energiepolitik werden gefasste Beschlüsse und Ziele, wie der Atomausstieg, der Kohleausstieg oder die Einordnung von Gas als Brückentechnologie zu einem erneuerbaren Energiesystem, infrage gestellt. Mit der Eskalation des Konfliktes und der zum Teil undurchschaubaren Politik Russlands in Bezug auf die Lieferung von Erdgas drängt sich die Sicherheit der Energieversorgung mit Macht auf die energiepolitische Agenda. Wie der Übergang in einen erneuerbaren Energiemix der Zukunft aussieht, ist heute offener denn je. In einer aktuellen Einschätzung zu Energieversorgungsrisiken, hohen Energiepreisen und zur Klimaschutz-Herausforderung erläutert der wissenschaftliche Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, was kurz,- mittel- und langfristig getan werden kann, um die Versorgungssicherheit in Europa zu erhöhen und sich unabhängig zu machen von der einseitigen Abhängigkeit von Erdgas-, Öl- und Kohleimporten aus Russland – ohne die Klimaschutz-Ziele aus den Augen zu verlieren. "Es geht jetzt darum, eine integrierte Strategie zu entwickeln, die auf Energieversorgungssicherheit und Klimaschutz gleichermaßen ausgerichtet ist und keine neue fossilen Pfadabhängigkeiten zu erzeugen", sagt Manfred Fischedick. Die Wärmeversorgung im Gebäudebereich und Prozesswärme- sowie Grundstoffversorgung im Bereich der Industrie haben zusammen einen Anteil von etwa 70 Prozent am deutschen Erdgasverbrauch. Allein in Deutschland verursachen Gebäude durch ihren Energieverbrauch zudem rund ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen. Daher besteht in puncto Energieeffizienz und Umstieg auf erneuerbare Energien schon aus Klimaschutz-Gründen besonderer Handlungsbedarf. Gleichzeitig bietet das auch die Chance, sich unabhängiger von importierten fossilen Energieträgern zu machen. Die Studie "Heizen ohne Öl und Gas" des Wuppertal Instituts, die im Auftrag von Greenpeace entstand, stellt heraus: Die Wärmeversorgung der Gebäude in Deutschland ließe sich bis 2035 vollständig auf erneuerbare Energien umstellen. "Erforderlich dafür ist ein umfassender Politikmix des 'Forderns und Förderns'. Um die Klimaziele nicht zu verfehlen, muss die Politik jetzt die Weichen für eine schnelle Wärmewende stellen", betont Fischedick. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und des Risikos ausbleibender Erdgasimporte aus Russland bedarf es sowohl eines kritischen Blicks, was kurzfristig möglich ist, aber auch was langfristig nötig ist. Diese Fragestellung stand beim Wuppertal Lunch "Energiepolitik unter dem Eindruck des Russland-Ukraine-Krieges – Maßnahmen für Klimaschutz und Versorgungssicherheit" im Fokus, der am 5. April 2022 stattfand. Die Referierenden diskutierten darüber, wie die Energie- und speziell die Heizenergieversorgung nicht nur in diesem, sondern auch im nächsten Winter sichergestellt werden kann, wie der Ausbau erneuerbarer Energien deutlich beschleunigt werden kann und was die dazu gehörigen Zeithorizonte, Möglichkeiten und Nadelöhre sind. Interessierte können den Wuppertal Lunch auf YouTube nachträglich hier anschauen. Passend dazu können Sie sich auch schon den 24. und 25. Oktober 2022 vormerken: An diesen Tagen findet anlässlich des 200. Jubiläums der Stadtsparkasse Wuppertal der zweitägige Nachhaltigkeitskongress in Kooperation mit dem Wuppertal Institut und der Neuen Effizienz in Wuppertal statt und bietet einen breiten Einblick in diese und weitere spannende und aktuelle Themen.
|